Johanna Schwarz, Künstlerin

www.johannaschwarz.deRede zur Eröffnung der Ausstellung “Morgen hatte ich eine Lösung” Düsseldorf, PDI Ninth House, 28.02.2012

Es begann mit einem Mädchen.
In einem der Büros hängt eine Radierung, auf der ein knabenhaft wirkendes Mädchen zu sehen ist. Diese Arbeit von Katharina Jesdinsky hängt dort schon eine ganze Weile und sie war mit ein Anlass, diese Ausstellung auf den Weg zu bringen und so kam es dazu, dass das Mädchen Gesellschaft bekam.

Die Ausstellung trägt den wunderbaren Titel
MORGEN HATTE ICH EINE LÖSUNG.

Nicht etwa: Morgen werde ich schon eine Lösung finden, sondern morgen werde ich bereits eine Lösung gehabt haben, d.h. ich bin jetzt bereits sicher, dass ich morgen auf eine Lösung zurückblicken kann. So muss ich mir nicht einreden: „Alles wird gut“ sondern bin mir sicher, dass es so sein wird. Auf mich wirkt der Titel geradezu beglückend und strahlt somit für mich das aus, was die Künstlerin zu dieser Lithografieserie angeregt hat.
„Tatsächlich fing alles damit an, dass ich mir ein Bett gekauft hatte, ein altes Gründerzeit-Bett, aber bevor ich es benutzen konnte, erstmal für 8 Tage nach Berlin musste. Die Reihe ist also quasi aus der Vorfreude entstanden.“
Die 5 Arbeiten sind auf die Räume verteilt und können als Erzählstrang verwendet werden, müssen aber nicht. Es ist jedoch sicherlich sehr reizvoll, sich zu überlegen welche Rolle der Ausspruch „Ich hatte eigentlich nie Interesse daran, ein Huhn zu sein“ in dieser Erzählung spielen würde.
Spuren, Zeit, Vergangenheit, Geschichte, das Spiel mit Zeit und Zeitlichkeit spielen in der Arbeit von Katharina Jesdinsky eine grosse Rolle. Immer wieder finden wir Zeugnisse der Vergangenheit, die sie neu in Szene setzt und dadurch im wahrsten Sinne des Wortes in ein neues Licht rückt. Sie ist eine grosse Sammlerin, wie ein Professor von mir mal anmerkte, es kann niemand Künstler sein, der nicht auch sammelt. Die Sammlungen sind häufig Basis der Arbeit. Alte Papiere, Fotos, Texte, Zeitungsartikel, Erinnerungen.

So bildet auch die Grundlage für die Serie RHEINPROVINZ von 2006 ein Stapel alter Versicherungsunterlagen der Großeltern aus den Jahren 1927 bis 1971. Die Versicherungsunterlagen dokumentieren die Geschichte des Hauses, das ihre Großeltern gebaut und bis zu ihrem Tode bewohnt haben. Heute wohnt eine der Schwestern mit ihrer Familie dort. Die Überzeichnungen nehmen Bezug auf private und historische Ereignisse, auf formale Systeme und assoziative Spielereien.
Interessant ist bei dieser Serie, dass einerseits die Spuren der grossen Zeitspanne z.B. anhand der Typografie zu verfolgen sind, andere Spuren, beispielsweise die des Zeitgeschehens, jedoch gar nicht sichtbar sind. Mein Lieblingssatz auf diesen Blättern lautet: „Gebrauchte Unwahrscheinlichkeiten, vernünftig.“
Biografische Aspekte spielen häufig eine Rolle in ihrer Arbeit, ebenfalls Geschichten und menschliche Schicksale. Auch Landschaften sehen wir, die widerum Geschichte und Geschichten beinhalten und gleichzeitig die Schönheit und den Schrecken des Lebens zeigen.

Bei den LANDSCHAFTEN von 2011 handelt es sich um geätzte Kupferplatten und Radierungen. Die Serie basiert auf einem kleinen Photo aus dem Jahr 1944: der Blick aus einem geöffneten Fenster auf eine Ruinenlandschaft. Bäume, dahinter ein Torbogen, einige mehr oder weniger zerstörte Gebäude, im Hintergrund Wald.
Das (gefundene) Zeitdokument wurde photomechanisch auf die Kupferplatten übertragen und dann geätzt, teilweise mehrfach. Dadurch entstanden Fragmente, Überlagerungen und eigenständige Strukturen, abstrakte Landschaften, die sich von dem eigentlichen Photo deutlich entfernt haben. Das ursprüngliche Photo lässt sich heute nicht mehr verorten, die kleinen Landschaften auch nicht.

Die Arbeit TILDA von 2011 bildet für mich ein zentrales Werk in dieser Ausstellung. Als ich die Arbeit hier zum ersten mal sah, schrieb ich auf meinen Notizzettel „Tilda löst sich auf“.
Es handelt sich um 8 kleine Metallplatten, in die jeweils das gleiche Portrait der Schauspielerin Tilda Swinton geätzt ist. Das Photo stammt von dem Cover einer Kunst-Fachzeitschrift.
Zwar wurde immer das gleiche Bild den gleichen Arbeitsprozessen unterzogen, doch die entstehenden Kupfer- bzw. Messingplatten unterscheiden sich deutlich. Zum einen, da diese Platten aus großen Druckplatten ausgeschnitten wurden, also schon einmal geätzt wurden (die Kupferplatten). Zum anderen, da der Prozess der Photoradierung aus vielen Arbeitsschritten besteht – Platte reinigen, Photolack auftragen, belichten, entwickeln, ätzen, Platte einfärben – und feine Abweichungen ergeben variierende Ergebnisse.
Je nach Blickwinkel, je nach Lichteinfall ist das Gesicht Tilda Swintons ganz unterschiedlich wahrnehmbar. Die ebenmäßigen Züge, die Schönheit löst sich auf, sammelt sich wieder, Verdichtungen entstehen, gehen auseinander. Manchmal sind Teile des Bildes nicht zu erkennen, einen Schritt weiter sieht man die feinsten Details.
Besonders erwähnenswert erscheint mir hier der Gebrauch der Platte als Bildträger, so dass im Gegensatz zum Druck auf Papier dem Licht und dem Lichteinfall eine grosse Bedeutung zukommen.
Erstmals begegnet ist der Künstlerin die Schauspielerin Tilda Swinton in dem Film Orlando, ich zitiere einen Ausschnitt aus der Filmankündigung: „Eine mit ästhetischen Bildkompositionen und großer Schauspielkunst gestaltete Verfilmung des gleichnamigen fantastischen Romans von Virginia Woolf: Ein englischer Edelmann durchlebt wechselweise als Mann und als Frau die vier Jahrhunderte zwischen der höfischen Zeit von Königin Elisabeth I. und dem London des 20. Jahrhunderts. Seine geschlechtsgebundenen Erfahrungen sind ein ironisch-kritisches Spiegelbild der gesellschaftlichen Vorherrschaft des Mannes und des wachsenden emanzipatorischen Bewusstseins der Frau. Orlando, betörend androgyn gespielt von Tilda Swinton, erhielt 1993 den Europäischen Filmpreis und wurde 1994 in mehreren Sparten für den Oscar nominiert.“

Die Künstlerin greift auf traditionelle Techniken zurück, die Radierung, die Lithografie und die Collage. Es wird gekratzt, geätzt, geklebt, geschnitten, gerissen und wieder zusammengefügt. Auch hier wieder zu finden die Spuren, die nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch entstehen.
Die Radierung, von lateinisch radere: kratzen, wegnehmen, entfernen bezeichnet ein grafisches Tiefdruckverfahren der künstlerischen Druckgrafik. Einer der bekanntesten alten Meister der Radierung ist Albrecht Dürer. Im 17. Jahrhundert dann veränderte sich mit Rembrandt die Radierung zum eigenständiges künstlerischen Ausdrucksmittel. Interessant ist bei ihm die künstlerische Nutzung der Plattenzustände als „work in progress“. Ein konkreter Verweis auf Rembrandt findet sich in der Ausstellung in der Arbeit mit dem Hund mit Schal: „Leicht zufrieden, schwer glücklich.“

Als letzten Punkt möchte ich auf die Sprache als zentralen Aspekt der Arbeit hinweisen. Titel, Sätze, Schriftstücke, Meldungen aus Zeitungen, Anagramme… in mehrfacher Hinsicht ein zentrales Moment. Seit 1999 sind rund 60 Anagramme entstanden, von denen ich eines zum Abschluss zitieren möchte:

Frohes Schaffen / Hoffen es scharf / Affenfrosch seh / sechs Affen froh.

Nun lassen wir die Worte beiseite und sind voller Vorfreude, endlich die schönen, humorvollen, ernsthaften und wundervollen Arbeiten der Künstlerin aus dem hohen Norden anzuschauen.


Dr. Maren Welsch, “Was will Paul Wolfowitz?”

Katalogtext zur Ausstellung “Gottfried Brockmann-Preis 2005″, Stadtgalerie Kiel
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Was will Paul Wolfowitz II, 2005, Tetrapak-Radierung und Collage, 140 x 300 cm

(…) Katharina Jesdinsky hat sich wiederholt mit dem Thema “Fortbewegung” auseinander gesetzt. Ob Züge oder Seilbahnen, sie ist fasziniert von der Vielzahl der technischen Errungenschaften, die es dem Menschen ermöglichen, seinen Aktionsradius auf bis dahin ungeahnte Weise auszudehnen. Oft genug wurde dieser Fortschritt jedoch auf Kosten Dritter erkauft. Die Latte des Machbaren wird immer höher geschraubt, bei den Tankern ist die Grenze der Manovrierfähigkeit erreicht. Das Risiko des technischen Versagens ist Katharina Jesdinsky bewusst. Doch das Größer, Schneller, Besser lässt den Menschen immer wieder neue Risiken eingehen – Katharina Jesdinsky lädt zum Nachdenken ein, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.